Informations- und Diskussionsabend bot interessante Einblicke – SI Club Koblenz stellt eigenes Projekt vor
KOBLENZ. Wie können Menschen in Würde altern und welche neuen Wege eines gemeinsamen Lebens gibt es derzeit beziehungsweise sind denkbar? Diesen Fragen gingen gemeinsam das ISSO-Institut, der Soroptimist Club (SI) Koblenz, die Universität Koblenz und die Hochschule für Gesellschaftsgestaltung bei einer hochkarätig besetzten Abendveranstaltung in der Stadtbibliothek in Koblenz nach.
Ziel war es, individuelle und gesellschaftliche Aspekte sowie Interessenkonflikte zu betrachten und aufzuzeigen, wie mit dem aktuellen Pflegenotstand umzugehen ist und wodurch eine weitere Verschlechterung verhindert werden könnte. Dabei galt es auch, gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedingungen zu beleuchten, die möglicherweise einen gewissen Grad von Ausbeutung als notwendig erhalten wollen.

Die hochkarätig besetzte Veranstaltung wurde von Beatrix Sieben moderiert.  Foto: Alexandra Klöckner

Ehrenamtliche Initiativen und die Würdigung von Menschen in Care-Berufen sollten dabei aus dem Schatten ins Licht gerückt werde. Daneben ging es auch um die Sensibilisierung für den Alterungsprozess und seine Besonderheiten sowie darum, darauf hinzuweisen, welche Herausforderungen sich daraus ergeben – für Individuen, für Familien und auch für die Gesellschaft: Welche Erfahrungen rund um die Pflege in den eigenen vier Wänden gibt es schon? Wo stößt Teilhabe durch Barrieren im Stadtbild oder altersbedingte Veränderungen an seine Grenzen? Was ergibt sich daraus für Betroffene, für Angehörige, aber auch für Pflegende?
Die von Beatrix Sieben vom ISSO-Institut moderierte Abendveranstaltung zeigte Möglichkeiten, aber auch Missstände auf. Die Vorträge thematisierten nämlich auch Problembereiche, die ansonsten im öffentlichen Diskurs gerne unter den Tisch fallen. So ging es zum Beispiel darum, welche Beschwernisse sich im städtischen Leben für ältere Menschen ergeben können, wie die Verständigung und das Miteinander leiden, wenn Augen und Ohren ihren Dienst aufgeben, und weshalb es auch zu Übergriffen und Gewalt kommen kann, die sich im Bereich der Pflege auch aus der Überforderung der Betreuenden ergeben können.
Mit ihrem Impulsreferat „Zur Sorge um die Demokratie durch die Sorge um Care“ wies Prof. Dr. Daniela Gottschlich von der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz auf die Notwendigkeiten von gesellschaftlichem Wandel hin, um dem Thema Pflege bzw. Care insgesamt mehr Sichtbarkeit und eine Stimme zu verleihen. Neben wissenschaftlichen Erkenntnissen wurden Ansätze vorgestellt, die das Thema Care als einen wichtigen Ansatz zur Stabilisierung von Demokratie aufzeigten. Ein soziales Miteinander und ein wertschätzendes soziales Gefüge, bei dem alternde Menschen selbstverständlich bedacht und berücksichtigt werden, stellt eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar. Dabei genügt es nicht, das Thema Inklusion als eine Randerscheinung für wenige Menschen mit Behinderung abzustempeln oder sogar zu ignorieren. Wenn immer mehr Menschen länger leben und ihre gesellschaftliche Teilhabe weiterhin ermöglicht werden soll, braucht es neue Konzepte. Altern in Würde benötigt Inklusion und Integration.
Mit einem Blick auf die Herausforderungen im Rahmen von Kommunikation und Verständigung, insbesondere zwischen Betroffenen, Angehörigen und weiteren Menschen aus dem Bereich der Pflege, ergänzte Dr. Sabine Nover von der Abteilung Präventions- und Rehabilitationsforschung der Universität Oldenburg diesen Ansatz auch um die Gruppe der Pflegenden, die bereits seit Jahren aus osteuropäischen oder Ländern des globalen Südens deutschlandweit die Pflegeteams verstärken. Live-in-Konzepte, die eine veraltete Vorstellung von 24-Stunden-Betreuung ablösen, stellen eine Ergänzung der Betreuung dar, wenn Menschen länger zu Hause leben und dort auch betreut werden wollen. Die verschiedenen Möglichkeiten, Pflegende ins Haus oder in die Familie zu integrieren, also die Intensität von Integration, sind dabei verhandelbar. Herausfordernd bleibt eine Verständigung zu dritt, was manchmal noch durch sprachliche Handicaps verstärkt wird, wenn Pflegende der deutschen Sprache nicht mächtig sind oder Erkrankte ihr Sprachvermögen eingebüßt haben.
Für jede Art der Verständigung, ob im familiären, institutionellen oder pflegerischen Kontext oder im gesellschaftlichen Miteinander, spielt auch das Hören eine zentrale Rolle. Der schleichende Prozess des schlechteren Hörens beginnt meist früher, als wir denken. Das zeigte Prof. Dr. Nicole Hoffmann vom Pädagogischen Institut der Universität Koblenz auf, die das Thema „Leise Ohren – Bedeutung guten Hörens als Grundlage für Teilhabe in unserer Gesellschaft“ als dritten Impulsvortrag einbrachte. Mit praktischen Beispielen wies die Pädagogin darauf hin, dass gutes Hören durch Hilfsinstrumente wie Hörgeräte möglich ist, allerdings deutlich mehr Einweisung und Training benötigt. Die individuelle Einstellung einer Hörhilfe erfordert im Vergleich zur Anpassung einer Sehhilfe (Brille) mehr Geduld, Bereitschaft und somit auch mehr Zeit und Termine mit dem Fachpersonal. Zur Sicherstellung der Teilhabe ist sie aber unerlässlich.
Karin Stahl von SI Club Koblenz stellte das bereits seit 2018 etablierte Projekt „Altern in Würde“ vor, mit dem die wirtschaftliche Not von Frauen und Männern in Seniorenresidenzen abgemildert werden soll. Vielen Bewohnenden erlaubt ihr oft sehr kleines Taschengeld weder Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen noch Teilhabe im sozialen Kontext. Mit einem Gutschein-System, das in den Heimen gut etabliert ist und funktioniert, wird ganz praktische Hilfe möglich. Diese Gutscheine werden über Spenden finanziert und fließen zu 100 Prozent an die Seniorinnen und Senioren. Mehr Informationen dazu unter: https://www.si-club-koblenz.de/blog-posts/altern-in-wurde-2
Markus Schild vertrat das Netzwerk Demenz Koblenz, welches seit 20 Jahren in Koblenz aktiv ist und demenziell erkrankte Menschen und deren Angehörige berät und unterstützt. Das Netzwerk Demenz Koblenz ist ein Zusammenschluss von Einrichtungen, Diensten, Organisationen und Interessierten in Koblenz. Betroffene können sich an die regionalen Pflegestützpunkte wenden und erhalten eine qualifizierte Beratung. Im Jubiläumsjahr 2024 wird es vielseitige Veranstaltungen geben.
Die Notwendigkeit, Pflege bzw. Care in Deutschland eine Stimme zu geben und insgesamt die Sichtbarkeit für alle in diesem Bereich tätigen Menschen zu verbessern, ist das Anliegen der Initiative Equal Care. Stephanie Krings aus Köln informierte über den Aktionstag Equal Care Day, der am 29. Februar 2024 als hybride Veranstaltungen stattfand und eine beeindruckende Teilnehmerzahl sowie öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr.  
Die Veranstaltung wurde ermöglicht durch die Förderung des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und der Landesarbeitsgemeinschaft anderes lernen e.V. sowie der Martin-Görlitz-Stiftung.

PRESSEMITTEILUNG SI CLUB KOBLENZ