Ganztagsangebot an Neuwieder Grundschule macht Eindruck
Mohadesa und Ammar gehen in die vierte Klasse der Neuwieder Marienschule. Dass sie nach 13 Uhr noch in der Schule sind, gehört für sie zum Alltag, denn wie knapp die Hälfte ihrer 250 Mitschüler nehmen sie das Ganztagsangebot wahr. Außergewöhnlich ist dagegen der Besuch, den die beiden in ihrer Schule empfangen und durch die Räume führen, in denen sie nach Schulschluss bis 16 Uhr Hausaufgaben machen, gemeinsam spielen und AGs besuchen. Neuwieds Bürgermeister Peter Jung und Schulamtsleiterin Sandra Thannhäuser kennen die beiden vom Sehen, doch auch aus dem Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) hat sich hoher Besuch angekündigt. Die Gruppe um Marion Binder, Referatsleiterin für Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern im BMFSFJ, Tobias Klag (Bildungsministerium RLP) und Jens Fleck von der Schulaufsichtsbehörde (ADD) möchte sich in der Marienschule ein Bild davon machen, wie Ganztagsschule hier praktisch umgesetzt wird.
Für ihre lebhafte Führung durch den Ganztagsbereich der Marienschule bekamen Ammar und Mohadesa von Marion Binder (BMFSFJ) zum Abschied ein Geschenk überreicht. / Foto: Felix Banaski
Viele Herausforderungen, aber eine klare Vision
Kaum Platz, zu wenig Personal und hohe Kosten – die Herausforderungen mit denen Manuel Mouget und Kerrin Lenz als Leitungsteam der Grundschule bei der Ganztagsbetreuung tagtäglich zu kämpfen haben, sind beträchtlich. Die hohe Nachfrage nach Ganztagsplätzen kann die Marienschule bei Weitem nicht erfüllen. 120 Kinder befinden sich in der Ganztagsbetreuung, mehr Kapazitäten gibt es nicht. Dementsprechend lang ist auch die Warteliste. „Wir würden gerne ein Ganztagsschulangebot für alle unsere Kinder bereitstellen, aber das ist leider nicht möglich“, erläutert Schulleiter Mouget. Allein um 120 Kindern eine Ganztagsbetreuung anbieten zu können, musste man in der Marienschule erfinderisch werden: Aufgrund von Platzmangel ist der Ganztagsbereich im Schulkeller untergebracht. Hier findet man einen Lernraum, einen Spielbereich sowie eine kleine Küche. Diese nutzt auch die Back-AG, eines von 15 Nachmittagsangeboten und bei Mohadesa und Ammar besonders beliebt. Zum gemeinsamen Mittagessen geht es trotzdem hinüber in die benachbarte Lebensmittelfachschule. Ein Anbau ist bereits in Planung, aber aufgrund der bauverdichteten Innenstadtlage der Marienschule schwierig. Die infrage kommenden Flächen auf dem Schulgelände sind begrenzt und auch der Schulhof wird immer kleiner. Dabei ist es wichtig gerade für die Kinder aus der Innenstadt, die häufig in beengten Wohnsituationen leben, in der Schule Raum für Spiel und Bewegung sowie Begegnung mit der Natur zu schaffen.
Allein ist die Marienschule mit diesen Herausforderungen jedoch nicht: „Wir erfahren große Unterstützung von der Stadt Neuwied als Träger und von der ADD“, erklärt Mouget weiter. „Es ist noch nicht alles rosarot an der Marienschule, aber wir haben eine gute Dynamik.“ Diese Ansicht teilt auch Neuwieds Bürgermeister Peter Jung: „Wir sind begeistert von der Power, mit der das gesamte Kollegium der Schule dabei ist“, lobt er das schulische Engagement. „Das steckt auch uns als Schulträger mit an. Wir ziehen hier alle gemeinsam an einem Strang.“ Diese positive Grundhaltung trotz der schwierigen Ausgangslage hinterlässt auch beim Besuch aus Berlin und Mainz spürbar Eindruck.
Im intensiven Austausch über die Umsetzung eines flächendeckenden Ganztagsangebots: Bürgermeister Peter Jung (2. v.r.), Jens Fleck (ADD; l.), Tobias Klag (Bildungsministerium RLP; 2. v.l.) und Schulamtsleiterin Sandra Thannhäuser (r.). / Foto: Felix Banaski
Ein Recht auf Ganztagsbetreuung
Für gewöhnlich endet der Schultag eines Grundschulkinds zwischen 12 und 13 Uhr und damit deutlich früher als der Arbeitstag der Eltern. Was also tun, wenn es keine Großeltern gibt, die am frühen Nachmittag aufpassen können und auch Teilzeitarbeit nicht in Frage kommt? Nach dem Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) haben alle Kinder bis ins Grundschulalter hinein ein Recht auf Ganztagsbetreuung, in der Praxis ist das aber längst nicht überall gewährleistet. Auch in Neuwied gibt es aktuell nicht einmal für die Hälfte der Grundschulkinder ein Ganztagsangebot – das deckt sich mit den Zahlen im gesamten Bundesland. Um diese Quote zu verbessern, wurde unter Federführung des städtischen Schulamtes eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich mit der Umsetzung des GaFöG in Neuwied beschäftigt. Für eine flächendeckende Ganztagsbetreuung benötigen jedoch sämtliche Grundschulen zusätzliches Personal, teilweise sind An- und Umbauten unvermeidlich. Das bedeutet auch eine finanzielle Mehrbelastung für den Schulträger.
Gruppenbild nach der Führung durch die Neuwieder Marienschule. / Foto: Felix Banaski
„Im Rahmen unserer Verpflichtung zum Ganztagsausbau sind wir gerade dabei, das Ganztagsangebot in Neuwied neu zu denken“, erklärt Schulamtsleiterin Sandra Thannhäuser das Vorgehen der Arbeitsgruppe. So wird etwa geprüft, ob Gelder aus dem Bereich der Jugendhilfe auch für den Ausbau der Ganztagsbetreuung eingesetzt werden können. Unter dem Strich bleibt die Kommune aber dennoch auf finanzielle Förderung angewiesen, denn der gesetzliche Zeitrahmen ist eng gesteckt: Schon zum Schuljahr 2026/27 soll es für jedes neueingeschulte Grundschulkind einen verbindlichen Anspruch auf einen Ganztagsplatz geben. Der Bund fördert die Investitionsmaßnahmen zu 70 Prozent, die verbleibenden 30 Prozent müssen durch die Kommunen selbst geleistet werden. Bürgermeister Jung erwartet, dass der bisher bei den Kommunen verbleibende Eigenanteil künftig vom Land übernommen wird. In ihren geäußerten Bedenken, Sorgen und Nöten müssten die Verantwortlichen vor Ort gehört und ernst genommen werden – und das idealerweise vor dem Erlass von Gesetzen. In Neuwied arbeiten Schulaufsicht, Stadt und Schulen schon jetzt Hand in Hand daran, dass bald alle von Mohadesas und Ammars Mitschülern bis 16 Uhr in der Schule bleiben können.