Foto: Maja Bechert
Die Stiftung Joseph Breitbach und die Akademie der Wissenschaften und der Literatur / Mainz verleihen den Joseph-Breitbach-Preis 2025 an den Schriftsteller Frank Witzel. Er erhält den Preis für sein in der deutschen Gegenwartsliteratur einzigartiges Gesamtwerk, mit dem ihm eine phantastische Archäologie der untergegangenen Bundesrepublik gelingt.
»Mit detailversessener Erzähllust erkundet der Schriftsteller und Musiker Frank Witzel in seinen umfangreichen Romanen, Tagebüchern und Essays die Abgründe der frühen Bundesrepublik und bietet ebenso mitreißende wie originelle Erinnerungsrecherchen«, so die Jury. »Gegenstände wie Trockenshampoo-Dosen, Modelleisenbahnen, Fleckenentferner, Plattenspieler oder das Auto NSU Prinz entfalten ein Eigenleben und werden zu mitunter unheimlichen Gedächtnisträgern.
In dem über 800-seitigen Mammutwerk ›Die Erfindung der Rote Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969‹ reimt sich ein dreizehnjähriger Junge zusammen, was nicht zusammenpasst. Das Nachkriegsdeutschland mit der untergründig wabernden Naziideologie und seiner zeithistorisch wie familiengeschichtlich aufgeladenen Objektwelt verbindet sich mit den Ereignissen des deutschen Herbstes; katholische Theologie, Heiligenlegenden und Psychoanalyse schießen ins Kraut. Die Kontrollinstanzen der Eltern lassen sich durch Popmusik aushebeln – seine Exegese des Albums ›Rubber Soul‹ der Beatles ist in der deutschen Gegenwartsliteratur einzigartig. Überhaupt ähnelt Frank Witzel häufig eher einem DJ, der Theorien scratcht und Geschichten sampelt. Das Schreiben hat bei ihm einen zwiespältigen Charakter, aber Selbstironie und Humor bilden ein Gegengewicht. In dem Essay ›Kunst als Indiz‹ stellt der Autor seine Fähigkeiten als Detektiv unter Beweis und legt eine glänzende Analyse der Krimiserie ›Derrick‹ vor. Plötzlich offenbart ein Szenenbild die Paranoia der 1970er Jahre. Frank Witzel gelingt mit seinem Werk eine phantastische Archäologie der untergegangenen Bundesrepublik.«
Foto: Maja Bechert
Frank Witzel, 1955 in Wiesbaden geboren, lebt in Offenbach und Berlin. Seit seinem ersten Lyrikband 1978 veröffentlichte er mehr als ein Dutzend Bücher, für seinen Roman ›Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969‹ erhielt er 2015 den ›Deutschen Buchpreis‹, für das gleichnamige Hörspiel 2017 den ›Deutschen Hörspielpreis‹. Sein zuletzt erschienener Roman ›Inniger Schiffbruch‹ stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Er hatte die Poetikdozentur der Universitäten Heidelberg, Tübingen und Paderborn inne und war 2017/2018 Inhaber der Friederichs-Stiftungsprofessur an der Hochschule für Gestaltung Offenbach. Die in Stuttgart aufgeführte Oper ›Dora‹ von Bernhard Lang, für die Witzel das Libretto schrieb, wurde 2024 zur Uraufführung des Jahres gewählt. Im selben Jahr erhielt Witzel den ›Crespo Wortmeldungen Literaturpreis‹ für seinen Essay ›Die Möglichkeit einer Micky Maus‹.
Der Preis ist mit 50.000 € dotiert. Die Verleihung findet am 19. September 2025 in Koblenz statt, der Geburtsstadt von Joseph Breitbach. Dazu ergeht eine gesonderte Einladung. Die Laudatio hält der Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Philipp Theisohn.
Bisherige Preisträger: Hans Boesch, Friedhelm Kemp, Brigitte Kronauer (1998); Reinhard Jirgl, Wolf Lepenies, Rainer Malkowski (1999); Ilse Aichinger, W.G. Sebald, Markus Werner (2000); Thomas Hürlimann, Ingo Schulze, Dieter Wellershoff (2001); Elazar Benyoëtz, Erika Burkart, Robert Menasse (2002); Christoph Meckel, Herta Müller, Harald Weinrich (2003); Raoul Schrott (2004); Georges-Arthur Goldschmidt (2005); Wulf Kirsten (2006); Friedrich Christian Delius (2007); Marcel Beyer (2008); Ursula Krechel (2009); Michael Krüger (2010); Hans Joachim Schädlich (2011); Kurt Flasch (2012); Jenny Erpenbeck (2013); Navid Kermani (2014); Thomas Lehr (2015); Reiner Stach (2016); Dea Loher (2017); Arno Geiger (2018); Thomas Hettche (2019); Nora Bossong (2020); Karl-Heinz Ott (2021); Natascha Wodin (2022); Marion Poschmann (2023); Anne Weber (2024)