Diskriminierung, Entrechtung, Verdrängung, Emigration 1933-1938

Wie wiederholt berichtet, arbeitet der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Mahnmal Koblenz Joachim Hennig die Geschichte der Juden in Koblenz auf. Ein wichtiger, wertvoller Beitrag für die lebendige Koblenzer Erinnerungskultur und ein Projekt, welches durch die Partnerschaft für Demokratie Koblenz im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und das Kultur- und Schulverwaltungsamt der Stadt Koblenz gefördert wird.

Schon länger sind auf der Homepage des Fördervereins die ersten beiden Teile zu sehen: Teil 1 mit den Anfängen im 12. Jahrhundert bis zur Reichsgründung im Jahr 1871 und Teil 2 mit der Zeit von 1871 bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933. Jetzt erzählt Hennig auf 140 Seiten die Geschichte der Koblenzer Juden in den ersten Jahren der NS-Zeit von 1933 bis zum Novemberpogrom 1938.

Sehr nachdrücklich schildert er, wie auch die Koblenzer Juden ihr jahrelanges Ringen gegen den Antisemitismus verloren und sich notgedrungen auf Hitler und seine Regierung umzustellen versuchten. Schon nach dem Reichstagsbrand am Abend des 27. Februar 1933 begannen die Nadelstiche und Gewalttätigkeiten gegen Juden in Deutschland. Dieser ersten antisemitischen Welle mit dem reichsweiten „Judenboykott“ am 1. April 1933 folgten antijüdische Gesetze u.a. mit der Entlassung jüdischer Richter, Beamter, Rechtsanwälte, von jüdischen Angestellten und Berufsbeschränkungen jüdischer Ärzte und Zulassungsbeschränkungen jüdischer Schüler und Studenten.

Das und alles das, was Hennig weiter schildert, geschah nicht irgendwo, sondern hier bei uns: die Bücherverbrennungen an den Koblenzer höheren Schulen, der Ausschluss von Juden aus Vereinen aller Art im Rahmen der „Gleichschaltung“ und ihr Hinausdrängen aus kulturellen Berufen. Am Beispiel der „Umwandlung“ der Leonhard Tietz Aktiengesellschaft in die Westdeutsche Kaufhof AG und deren Filiale in der Koblenzer Löhrstraße stellt der Autor die ersten „freiwilligen Arisierungen“ dar.

Die Folge war eine erste Auswanderungswelle, die aber nicht so stark ausfiel. Viele Koblenzer Juden hingen an ihrer rheinischen Heimat. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass die NS-Rabauken mit ihren Stiefeln und die Juristen mit ihren Gesetzen die fast zweitausend Jahre währende gemeinsame Geschichte zertrampeln und zerstören würden. Wie viele Nazigegner rechneten sie damit, dass die „Bürgerlich-Konservativen“ in der Regierung Hitler – wie Vizekanzler von Papen sagte – „in zwei Monaten in die Ecke gedrückt (hätten), dass er quietscht.“ Tatsächlich war nach zwei Monaten aber von Papens Einfluss zugunsten der Nazis wesentlich geschmälert und er bald in der Ecke, als Botschafter in Wien abgehalftert.

Es folgten die scheinbaren „beruhigten“ Jahre, in denen sich die Juden mit den Nazis zu arrangieren versuchten, sich auf sich besannen und Selbsthilfeorganisationen aus- und aufbauten. Wie schwierig das war, berichtet Hennig anhand von Lageberichten der Gestapo, Zeitungsberichten und Lebenserinnerungen ehemaliger Koblenzer. Von Anfang an versuchten die Nazis und ihre Helfer (und gerade auch die Konkurrenten) die Juden aus ihren Berufen, Geschäften und Unternehmen zu vertreiben.

Noch war die jüdische Gemeinde nicht so schwach und konnte gegensteuern und sich selbst organisieren. So entstanden jüdische Sportvereine und -aktivitäten. Der Jüdische Kulturbund wurde gegründet und seine Veranstaltungen fanden auch hier großen Zuspruch. Die jüdische Koblenzer Jugend (unter der Leitung von Alfred Pollack, der später unter seinem Künstlernamen Anton Diffring ein bekannter Filmschauspieler wurde) machte Theater. Erst führte sie das Singspiel „Im weißen Rössl“ auf und nach dessen großen Erfolg die Operette „Victoria und ihr Husar“.

In dieser Phase, in der auch die Auswanderung zurückging, begann Anfang 1935 die zweite antisemitische Welle, von der Koblenz weniger, wohl aber seine Umgebung stärker betroffen war. Dabei waren Schilder und Transparente an den Ortseingängen und Geschäften wie „Hier sind Juden unerwünscht“ noch der weniger schlimme Teil. In zahlreichen Orten wurden Fenster in jüdischen Wohnungen eingeworfen, Häuser beschmiert, Juden misshandelt. Diese „Einzelaktionen“ stoppte Hitler persönlich und das leitete zu den Nürnberger Gesetzen über. Mit den auf dem „Reichsparteitag der Freiheit“ am 15. September 1935 erlassenen Vorschriften wurden die Juden weiter aus der „Volksgemeinschaft“ ausgegrenzt. Das Reichsbürgergesetz machte sie zu Bürgern zweiter Klasse und war die „Rechtsgrundlage“ für die dann folgenden 13 Verordnungen (bis zum 1. Juli 1943). Das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ erfand den Straftatbestand der „Rassenschande“. Das öffnete Denunzianten Tor und Tür. In der Folge verurteilte auch das Koblenzer Landgericht zahlreiche jüdische Männer wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Beziehungen zu „Arierinnen“ zu Zuchthausstrafen.

Wenige Tage nach den Nürnberger Gesetzen veröffentlichte das „Nationalblatt“ die „Judenliste von Koblenz“. Darin wurden unter der Aufforderung „Ausschneiden! – Aufbewahren! – Beim Einkauf mitnehmen!“ jüdische Geschäfte, Ärzte, Rechtsanwälte u.a.  mit Adresse im Einzelnen aufgeführt. Damit sollte den Juden endgültig der wirtschaftliche Garaus gemacht werden. Während das in Koblenz selbst ganz gut gelang, war der Boykott jüdischer Vieh-, Landprodukten- und Weinhändler im Umland nicht so erfolgreich. Recht viele „Deutsche“ kauften immer noch bei den kompetenten, fairen und preiswerten Juden. Um auch diese Geschäftstätigkeit zu unterbinden, gingen die Nazis und ihre Helfer daran, die jüdischen Geschäftsleute mit Strafprozessen wegen angeblicher Betrügereien, Schiebereien, wegen Gerüchte Verbreitens usw. zu kriminalisieren. Die gleichgeschaltete Presse berichtete darüber voller Häme und Verachtung – obwohl es sich vielfach – wenn überhaupt – um Bagatellen handelte.

1938 war das Schicksalsjahr für die Juden in Deutschland und auch für die Koblenzer Juden. Es begann mit der dritten antisemitischen Welle und setzte sich fort mit der ersten Massenverhaftung von ca. 2.300 Juden im Rahmen der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ im Juni 1938. Das ganze Jahr über ergingen antijüdische Gesetze, die die Juden weiter diskriminierten, entrechteten und aus der „Volksgemeinschaft“ ausschlossen. Am Ende dieses Schicksalsjahres inszenierten die Nazis und ihre Helfer das Novemberpogrom am 9./10. November 1938 („Reichspogromnacht“) vor 85 Jahren.

Diese Geschichte schildert Hennig als Teil der Koblenzer Stadtgeschichte und als Teil der Geschichte der Juden in Deutschland. Es ist die Geschichte von nebenan, die der jüdischen Nachbarn unserer Eltern und Großeltern. Sie soll an die Menschen, die das erleiden mussten, erinnern und uns mahnen und uns warnen vor neuen „Ansteckungsgefahren“. Getreu dem Motto der Ausstellung des Fördervereins Mahnmal Koblenz, die auch weiterhin mit Biografien jüdischer Koblenzer am Mahnmal auf dem Reichensperger Platz zu sehen ist: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“. (Bertholt Brecht).

Der 140-seitige 3. Teil der Geschichte der Juden in Koblenz kann auf der Homepage des Fördervereins Mahnmal Koblenz nachgelesen und heruntergeladen werden. Die Adresse: www.mahnmalkoblenz.de